zur Erinnerung
30 Jahre Deutsche Einheit, Zeit für eine Zwischenbilanz

Nachgefragt

So sehe ich das!

Heute antwortet: Regina Fritsch, 70, Bad Brambach (Sachsen) Die meisten Berufsjahre hat sie in der Gastronomie verbracht

Welche Begriffe verbinden Sie mit der DDR?
Glückliche Kindheit, gutes Schulsystem mit Angeboten außerhalb der Schule, Jugendweihe.

Was hat Ihr Leben bis 1989 geprägt?
Es waren die prägenden Jahre durch die Schulbildung und die private Orientierung in Beruf und Familie. Sicher war es nicht immer einfach, zu bekommen, was gewünscht wurde. Auf Umwegen und mit Beziehungen erreichte man am Ende doch oft sein Ziel. Der Einsatz, der uns abverlangt wurde, sorgt bis heute dafür, dass wir mit Problemen anders umgehen.

Wie verbrachten Sie Ihre Freizeit?
Wer Haus und Grundstück besitzt, weiß sich zu beschäftigen. Das Organisieren von Baumaterial, Handwerkern kostete Zeit. Trotzdem blieb Zeit für Unterhaltung. Gerade jetzt merkt man, wie wichtig das ist. In der DDR gab es bis ins letzte Dorf Kultur zu moderaten Preisen.

Welchen Beruf haben Sie gelernt?
Ich lernte beim HO Gebrauchswerber. Man sah in die Lager der Geschäfte, wo manches aufbewahrt wurde, was im Laden nicht auslag. Mangel war an der Tagesordnung. Nicht selten musste das, was im Fenster dekoriert wurde, gleich wieder entfernt werden. Ich wechselte nach zwei Jahren in die Gastronomie.

Wo waren Sie, als Sie vom Mauerfall erfuhren?
Bei uns war Tanz in der Gaststätte. Damals, ohne Handys, schaute man nicht ständig, was in der Welt passiert. Bei uns war Spaß angesagt und eist am Tag darauf bekamen wir alles mit.

Was haben Sie vom Begrüßungsgeld gekauft?
Ein Radio, das heute noch wegen seines schönen Designs die Schrankwand ziert.

Welche Meinung hatten Sie zur Wiedervereinigung? Und heute?
Was sich Ende der 1980er-Jahrein der DDR in Bewegung gesetzt hatte, um Veränderungen zu erzwingen, war nicht aufzuhalten. Allerdings gab es kein Konzept, in welche Richtung es gehen würde. Wo Chaos, Unsicherheit und Uneinigkeit herrschen, gibt es Gewinner und Verlierer. Wir DDR-Bürger waren nicht so schnell in der Lage, unterschiedliche Ratschläge des Westens einschätzen zu können. Das lag nicht an mangelnder Intelligenz, sondern an den zwei Systemen, in denen wir getrennt gelebt hatten.

Wie ging es nach 1990 beruflich für Sie weiter?
Für mich war es problemlos möglich, vom Angestelltenverhältnis in die Selbstständigkeit zu wechseln. Was meine Arbeit und meine Einstellung (Sonntags- und Feiertagsarbeit) betraf, hatte sich in diesem Gewerbe kaum etwas geändert.

Was ist in den zurückliegenden 30 Jahren aus Ihrer Sicht gut, was schlecht gelaufen?
Für mich gibt es keine echte Wiedervereinigung. Zu viele Fehler wurden gemacht, niemand scheint gewillt, sie zu korrigieren. Ich möchte meine Zeiten in der DDR und in Gesamtdeutschland nicht missen. Solange unsere Biografien auf das System reduziert werden und nicht auf die geleistete Arbeit, kann es keinen inneren und äußeren Frieden geben. In meinem Job sah es so aus: Zu DDR-Zeiten waren Gaststätten gut besucht, sogar überfüllt. Es gab leider das Problem der Umsatzvorgaben bei mangelnder Warenbereitstellung. Mit Grenzöffnung gab es ein Überangebot an Waren, aber Besucher blieben weg. Zwei Geldumstellungen, Arbeitslosigkeit, Unsicherheit... das waren Gründe, die Gastronomie immer wieder vor Herausforderungen zu stellen.


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 22.01.2023 - 11:08